Tagungen
Hier finden Sie Berichte zu Tagungen, die wir zum Themenfeld Sterben, Tod und Trauer organisiert haben.
Bericht zur Tagung
»Erinnerung als Objekt«
(Berlin, Januar 2020)
Welche Rolle spielen ›Erinnerungsdiamanten‹ im Trauerprozess von Hinterbliebenen, die sich dazu entschieden haben, die Kremationsasche ihres verstorbenen Angehörigen in Form einer kristallinen Preziose aufzubewahren? – Das interdisziplinäre Team aus Thorsten Benkel, Thomas Klie und Matthias Meitzler sind dieser Frage in einem Forschungsprojekt nachgegangen und haben nun ihre Einsichten in einem Buch veröffentlicht: Der Glanz des Lebens. Aschediamant und Erinnerungskörper (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019; 240 Seiten, 20,- EUR). Am 31. Januar 2020 im wurden die Forschungsergebnisse einem sachverständigen Fachpublikum im Georgensaal des Evangelischen Kirchenforums in Berlin präsentiert.
Thorsten Benkel ging dabei zu Beginn der Frage nach, wie sich das Bild des toten Körpers durch die neuen Entwicklungen in der Bestattungskultur verändert hat, und auf gesellschaftlichen Umbrüche dies zurückgeht. Matthias Meitzler thematisierte die zentralen Forschungsfragen des Projektes und stellte die methodischen Herangehensweisen anhand der Dynamik von Befragungssituationen im Trauerkontext vor. Die Projektmitarbeiterin Leonie Schmickler trug anonymisierte Passagen aus dem Interviewmaterial vor. Und Thomas Klie fasste die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie zusammen: die Besonderheit des Materials (Diamant), die vorwiegend weibliche Kundschaft und ihr Bestreben, den Edelstein möglichst Tag und Nacht bei sich zu haben, die hohe Produktzufriedenheit der Diamantbesitzenden und ihr großes Selbstbewusstsein, die postmortalen Belange mit dieser sehr außergewöhnlichen Bestattungsform selbst in die Hand zu nehmen.
Die anschließende Diskussion der anwesenden Fachvertreter berührte dann schwerpunktmäßig vor allem die immer noch sehr ›paternalistischen‹ Bestattungsgesetze der Länder, die mit der aktuellen Entwicklung in der Bestattungskultur und mit den gesellschaftlichen kursierenden Wünschen nach Autonomie in der Trauer nicht im Einklang stehen.
Bericht zur Tagung
»Rituale der Transformation«
Am 5. und 6. Juli 2019 haben wir an der Universität Passau eine sozialwissenschaftliche Fachtagung zum Thema »Rituale der Transformation« veranstaltet.
Vor dem Hintergrund umfangreicher empirischer Studien, die in den vergangenen Jahren von Passau aus zum Themenkomplex Sterben, Tod und Trauer betrieben wurden, verfolgte die Tagung mit ihren insgesamt 13 Vorträgen das Ziel, wissenschaftliche und praxisorientierte Perspektiven zusammenzubringen und aktuelle Entwicklungen zu diskutieren.
Mit einem Vortrag über die performative Verwaltung von Umbrüchen in der Sozialstruktur eröffnete Thorsten Benkel (Passau) die Veranstaltung. Anhand von Beispielen aus der Forschung zeigte er auf, wie mittels spezifischer Rituale das chaotische und zerstörerische Ereignis des Todes verhandelt und bewältigt werden kann. Im Anschluss fokussierte Matthias Meitzler (Passau) mit der Temperatur eine Transformationsvariable des Todes, deren (thanato-)soziologische Bedeutsamkeit sich weit über die existenzielle Frage erstreckt, wie kalt ein toter und wie warm ein lebender Körper eigentlich sein muss.
Michaela Thönnes (Zürich) beleuchtete die strukturellen Bedingungen der Hospizarbeit im Verhältnis von Individualisierung und Institutionalisierung. Auch Niklas Barth, Katharina Mayr und Alexander Walker (München) machten die Erkenntnisse aus ihrer empirischen Forschung im Hospiz- und Palliativkontext zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen. Im Spannungsfeld von individuellen und kollektiven Übergangsriten sowie starren Organisationsroutinen steht insbesondere das Narrativ vom ›guten Sterben‹ auf dem Prüfstand. Ursula Engelfried-Rave (Koblenz) stellte aktuelle Zwischenergebnisse und Aussichten aus ihrem Projekt zum Thema Trauerbegleitung am Arbeitsplatz vor. Dem Dilemma zwischen effizienter Arbeit und Mitarbeiterfürsorge stehen viele immer noch hilflos gegenüber, wobei eine nicht wahrgenommene Trauer gravierende Folgen für die Arbeitsmoral haben kann. Nico Wettmann (Gießen) nahm die Transformationsarbeit von Hebammen bei pränatalen Verlusten in den Blick. Die Schwierigkeit liegt hierbei insbesondere im Umgang mit der Krise, die die soziale Konstruktion der Elternschaft durch den »Exitus um Uterus« erleidet. In einer Fallanalyse zur Diamantpressung aus Totenasche widmete sich Thomas Klie (Rostock) der Bedeutsamkeit von Artefakten in der zeitgenössischen Sepulkralkultur.
Den zweiten Veranstaltungstag leitete Leonie Schmickler (Passau) mit einer soziologischen Auseinandersetzung mit den Grenzen der Selbstbestimmung in der Sterbehilfe ein. Nach einer Darstellung und Einordnung der vielfältigen Fallgruppen der aktiven und passiven Sterbehilfe wurde die Komplexität einer juristischen, allgemeinen Regelung eines zutiefst intimen Lebensbereichs exemplarisch aufgezeigt. Frank Thieme und Susanne Stachowitz (Bochum) thematisierten Abschiedsrituale als Widerspiegelung des sozialen Wandels, der u.a. als Pluralisierung und Säkularisierung seinen Ausdruck findet. Der Friedhof als Ort der Sozialraumanalyse, an dem sich strukturell und situativ divergierende Charakteristika ausmachen lassen, stand im Fokus des Vortrags von Constanze Petrow (Geisenheim). Den privaten Raum am Grab stellte sie dem öffentlichen Raum um das Grab herum gegenüber und beleuchtete unterschiedliche Handlungsbefugnisse und Aneignungsstrategien. Dorothea Mladenova (Leipzig) stellte ihr Dissertationsprojekt zum Wandel der Bestattungskultur in Japan vor. Im Zuge der historischen Entwicklung lassen sich verschiedene Stadien mit spezifischen Merkmalen hervorheben, derweil aktuell ein Trend zu einer individualisierten und zu Lebzeiten selbst organisierten Bestattung auszumachen ist. Im Zentrum des Vortrags von Ekkehard Knopke (Weimar) standen ethnografische Erkundungen auf Bestattungsmessen. Eine »Eventisierung« sei hierbei insofern zu konstatieren, als die Messen als Agenda-Setter für das Thema Tod und Sterben fungieren und ein attraktives Image für das Sujet und die Beteiligten zu etablieren versuchen.
Mit einem visuellen Streifzug durch das thanatologische Unterholz rundeten Thorsten Benkel und Matthias Meitzler die Tagung ab. Anhand von kommentierten Bildmaterial gewährten sie dem Publikum nähere Einblicke in ihre empirischen Forschungsarbeiten und zeichneten die soziologische Relevanz von solchen Bereichen wie z.B. öffentliche Trauerplätze oder Pathologie-Abteilungen in Krankenhäusern nach. Neben dem produktiven und tragfähigen Diskurs zwischen Theorie, Methodologie und Praxis, der die Vielfalt und Breite der Thematik signalisierte, machte die Tagung auch die Notwendigkeit weiterer intensiver Vernetzung und Forschung deutlich, damit insbesondere die Fragen nach der Einordnung von digitalen Entwicklungen und der Einbeziehung der Materialität am Lebensende bearbeitet werden können.
Bericht zur Tagung
»Körper – Wissen – Tod«
Am 25. und 26. Mai 2018 veranstalteten wir in Zusammenarbeit mit der Sektion Wissenssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie an der Universität Passau eine sozialwissenschaftliche Fachtagung zu dem Thema »Körper – Wissen – Tod«.
Die zahlreich besuchte Veranstaltung adressierte sowohl VertreterInnen aus Wissenschaft und Praxis als auch interessierte BesucherInnen und Studierende. Ziel war es, wissenschaftliche Perspektiven auf gesellschaftliche Fragen zum Lebensende zu entwerfen. Die insgesamt 16 Vorträge wurden von regem Austausch und kontroversen Debatten begleitet.
Den Anfang machte Thorsten Benkel (Passau), der sich der Thematik unter wissenssoziologischen Vorzeichen annäherte. Mit besonderem Fokus auf Körperlichkeit sowie u.a. am Beispiel des vergessenen Klassikers Max Scheler versuchte Benkel zu zeigen, dass das, was Tod genannt wird, immerzu das Produkt einer spezifischen Wissensformation ist. Anschließend fokussierte Werner Schneider (Augsburg) Sterben als sozialen Prozess und entwarf eine dispositivanalytische Perspektive auf das Lebensende. Dabei beleuchtete er das »gute Sterben« als ein Projekt nicht nur für den Sterbenden selbst, sondern auch für die Angehörigen.
Den Tod als »Problem der Lebenden« thematisierte auch Matthias Meitzler (Passau) anhand des sozialen Wandels im Umgang mit Sterbenden und der Tabuisierung des Todes. Den Ausgangspunkt bildeten Norbert Elias‘ Betrachtungen über die »Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen«, die Meitzler vor dem Hintergrund eigener Forschungen auf ihre empirische Aktualität hin überprüfte. Zsofia Schnelbach (Passau) gab Einblicke in ihre Forschungen zur Symbolkraft des kindlichen Körpers bei stiller Geburt. Hierzu führte sie Interviews mit Eltern, deren Kind tot zur Welt gekommen ist und die somit einer Paradoxie von Begrüßung und Abschied ausgesetzt sind. Patrick Reitinger (Bamberg) führte die Thematik der Schwangerschaft in seinem Vortag zur Verräumlichung von Körperlichkeit weiter fort und zeichnete den Konflikt zwischen Materialität bzw. Körperlichkeit und einem juristischen Lebenskonstrukt nach. Anhand aufschlussreicher Studien zur Transmortalität veranschaulichte Hubert Knoblauch (Berlin) u.a, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Organspendeausweises eine Lücke klafft, die von institutionellen Stellen bislang allerdings unzureichend berücksichtigt wird.
Der zweite Veranstaltungstag wurde von Ulrike Wohler (Hannover) eröffnet. In ihrem Vortrag beschäftigte sie sich mit der gewandelten Sichtweise auf die Vergänglichkeit des Lebens. Während besonders im Mittelalter das Vanitas-Motiv öffentlich über alle Stände hinweg bewusst verhandelt wurde, sehen wir den Tod heute vermehrt als ein Tabuthema. Mit einem empirischen Ansatz beleuchtete Ursula Engelfried-Rave (Koblenz) die Bedeutung von Trauer-Tattoos. Die Haut fungiere dabei als ein Ort der Trauer, der Trauernde ständig begleite und eine Alternative zu herkömmlichen Trauerorten sein könne. Ekkehard Knopke (Weimar) demonstrierte anhand eines ethnografischen Projekts im professionellen Bestattungskontext, auf welchen Wegen Geschlechtlichkeit in diesem Setting kommunikativ konstruiert wird. Auch Katharina Mayr und Niklas Barth (München) stellten die Kommunikation in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen zum bewussten Sterben in der multiprofessionellen Sterbebegleitung. Dem »Schlamassel des Sterbens«, wonach Sterbende die ihnen zugewiesene Rolle zurückweisen, wurde eine ideale Vorstellung vom »guten Sterben« entgegengesetzt, die kommunikativ verhandelt und insbesondere in der Adressierung der Sterbenden durch professionelle Akteure sichtbar werde.
Lea Sophia Lehner (Passau) nutzte in ihrem Vortrag die elementaren Begriffe Feld, Kapital und Habitus von Pierre Bourdieu, um auf die Ursachen für Selbsttötung in unserer Gesellschaft einzugehen. Der Vortrag von Miriam Sitter (Hildesheim) widmete sich der Bedeutung von himmlischen Sinnbildern im Kontext tröstlicher Kinderliteratur bei der Trauerbegleitung für Kinder. Isabelle Bosbach (Bochum) ordnete in ihren Ausführungen zur Kryonik, eine Konservierungsmethode durch Einfrierung, den Tod als Phase des Lebens ein und definierte ihn dadurch als Prozess, nicht als Zustand. In ihrem Vortrag zu Sterbekonstruktionen im Vermittlungskontext legte Melanie Pierburg (Hildesheim) dar, wie der sinnbildliche »Akt des Loslassens« als Metapher für das Sterben im Hospiz verhandelt und dadurch zu einem erfahrbaren Gegenstand gemacht wird.
Der Berliner Fotograf Patrik Budenz (Berlin) führte mit einer Bildauswahl in die Thematik der Rechtsmedizin und Leichenauffindungssituationen ein. Entlang der Grenzen von Nähe und Distanz lieferte er den ZuschauerInnen ein »ästhetisches Angebot« und lud im Zwiegespräch mit Thorsten Benkel dazu ein, sich des Komplexes Fotografie und Tod im Lichte je eigener Bilddeutungen zu öffnen. Den Abschluss der Tagung bildete der Vortrag von Ronald Hitzler (Dortmund), welcher sich mit einer Analyse der Empfindung, Erläuterung, Reflexion, Kundgabe und Deutung von Trauer beschäftigte und dabei aufzeigte, wie sich Trauergefühle im Kontrast zwischen subjektiven und kollektiven Empfindungen äußern.
Die Vielfalt der Zugänge, Methoden und Erkenntnisse, die im Rahmen der Tagung vorgestellt und lebhaft diskutiert wurden, hat zweifellos deutlich gemacht, dass die Forschung zum Lebensende mehr denn ein fruchtbares Sujet ist, das zahlreiche Chancen zur inner- und interdisziplinären Vernetzung bereithält und künftig über seine randständige Position innerhalb des sozialwissenschaftlichen Diskurses hinaus an Bedeutung zu gewinnen verspricht. Die einzelnen Vorträge sollen in einem Tagungsband dokumentiert werden, der voraussichtlich 2020 erscheint.